Trier, 15.09.2023

Brief an Jens Spahn

Betr. Ihre Äußerungen zur geplanten Erhöhung des Bürgergeldes


Sehr geehrter Herr Abgeordneter Spahn,

Sie haben in diesen Tagen mit diskriminierenden Äußerungen auf bemerkenswerte Weise demonstriert, warum viele Menschen in unserem Land das Vertrauen in die Politik verloren haben oder dabei sind es zu verlieren. Aus Sorge um die betroffenen Menschen und aus Sorge um die politische Kultur in unserem Lande schreibe ich Ihnen diesen Offenen Brief.

Sie kritisieren die geplante Erhöhung des Bürgergeldes von 502 auf 563 Euro mit dem Hinweis, diese würde ein falsches Signal aussenden, dass es sich dann nicht mehr lohnen würde zu arbeiten. Eine solche, auf das Lohnabstandsgebot zielende Aussage ist empirisch belegbar falsch und beweist, wie weit Sie von der Lebenswirklichkeit von Millionen Menschen entfernt sind. Angesichts krasser Preissteigerungen, insbesondere bei Lebensmitteln, die durch die Erhöhung des Bürgergeldes noch nicht einmal kompensiert werden, ist Ihre Kritik geradezu verwerflich. Wenn Sie das Lohnabstandsgebot nicht gewährleistet sehen, dann kann die Konsequenz doch nur eine Erhöhung der Niedriglöhne bedeuten und nicht weitere Kaufkraftverluste der Armen.
Wissen Sie, was es konkret bedeutet, von 502 Euro im Monat zu leben?

Dass Sie, Herr Spahn, in Verhältnissen leben, in denen es völlig egal ist, ob Sie 500 Euro monatlich mehr oder weniger bekommen, sei Ihnen gegönnt. Aber von so weit oben und mit solcher Kälte auf Menschen unten zu blicken und diesen das verfassungsrechtlich zustehende Existenzminimum zu verweigern, ist diskriminierend, beschämend und entwürdigend. Nehmen Sie sich ein Beispiel an vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag, die sehr wohl die menschliche Brisanz eines Regelsatzes von 502 Euro sehen.

Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, der Ihren Blick auf das Thema ändern und sicher zu mehr Nähe zu den Betroffenen und zu einer gerechteren, unserer Verfassung genügenden Praxis ( Würde des Menschen und Existenzminimum ) führen wird.

Machen Sie einen Selbstversuch und führen Sie ein Haushaltsbuch. Tragen Sie alle Ihre Ausgaben ein und schauen Sie, wie weit Sie mit 502 Euro kommen. Dokumentieren Sie, ob der Betrag für ein Leben in Würde und entsprechender gesellschaftlicher Teilhabe auskömmlich ist.
Gerne lade ich Sie auch nach Trier ein und stelle den Kontakt zu unmittelbar Betroffenen her, damit sie Ihnen von ihrem täglichen Ringen, über die Runden zu kommen, berichten können.

Bedenken Sie bitte künftig die Konsequenzen Ihrer Äußerungen. Gleich ob unbedacht oder wissentlich, Ihre Worte und die damit verbundene politische Zielrichtung untergraben den gesellschaftlichen Zusammenhalt, stärken die AfD und schaden damit unserer Demokratie.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie meinen Vorschlägen folgen und so mehr Empathie im Umgang mit Menschen, die es wahrlich nicht leicht haben im Leben, entwickeln würden.
Ich appelliere an Sie, korrigieren Sie Ihre Haltung.

 

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Jensen
Oberbürgermeister a.D.